Leseprobe Messer und Herz, Kurzkrimi

 

fünfzehn

Ich war erst fünfzehn. Ich wohnte im vierten Stockwerk, und mein Fenster ging nach Norden. Mutters Eigentumswohnung. Meinen Daddy hatte sie vor einem Jahr hinausgeworfen. Ich habe seine Vorliebe fürs Krachmachen von klein auf geteilt. Mein Freund Sven war auch weggezogen. Wir hatten kleine Nachbarschaftskriege mit Schweizer Krachern ausgefochten, wenn uns langweilig war. Von Balkon zu Balkon. Sven mit dem Balkon gleich nebenan, auch Etage vier. Daddy brachte die Kracher kistenweise nach Hause. Aber damit war jetzt Schluss. Im Nachhinein gesehen war die Zeit mit den Knallkörpern paradiesisch. Wir feierten echt schöne Battels. Mittlerweile weiß ich, dass es kein Paradies gibt. Das könnt ihr mir glauben.

Ich war fünfzehn und meine Runnerin ein Glückskauf. Ein Motorroller schwarz wie der Teufel. Ich kaufte einen schwarzen Helm dazu, der blitzte in der Sonne. Dann heulte der Motor auf. Wenn ich meinen Roller nicht ausführte, machte ich Action im Hof. Ich gab Vollgas, und der Motor gehorchte. Testsessions am Stand. Ab und zu schrien Anwohner herunter, ich solle den Lärm beenden, aber schließlich warfen sie die Fenster zu und gaben auf. Man kann sich den Block aus Vogelperspektive als Quadrat vorstellen, eingegrenzt von vier Straßenzügen. Mein Zimmer ging nach Norden, in den Hof hinein. Ich schätze, es waren alles in allem vielleicht vierundzwanzig Häuser, deren Mieter am Sound meiner neuen Darkside Maschine teilhaben durften. Warum? Na weil sechs Häuser in jede Himmelsrichtung. Sechs mal vier, klar? Lauter Langeweiler. Manchmal bellte ein Hund oder kreischten Kinder. Ansonsten nur mein Roller, aber stundenlang, ich übertreibe nicht. Es gab für mich nichts Schöneres.

Die letzten Wochen verbrachte ich auch einige Zeit mit Linda, weil sie in mich verliebt war. Sie durfte abends bei mir in der Wohnung verbringen und blieb auch mal über Nacht. Sie sagte, sie liebte mein Haar. Ich weiß nicht, was sie jetzt macht. Vielleicht schau ich mal, wie sie um mich trauert. Sie war auch fünfzehn und trug ihre zwei Hupen schon wie eine Frau. Ich mochte sie ganz gerne. Meine Freunde beneideten mich. An den lauen Sommerabenden kam es vor, dass wir auch nur am Balkon saßen und irgendwelche Brettspiele spielten. Linda liebte Brettspiele. Ich habe die Namen der einzelnen Spiele vergessen, kann mich an keinen einzigen erinnern. Ob ich die Spielregeln noch beherrsche, weiß ich nicht, müsste man austesten. Ich glaube, wenn man tot ist, verkümmert ein bestimmter Teil des Erinnerungsvermögens. Das fällt mir auch auf, wenn ich versuche, Inhalte meiner Ausbildung abzurufen. Ich war Elektroniker. Im zweiten Lehrjahr. Natürlich denkt man überhaupt nicht daran, dass man die Ausbildung nicht abschließen kann, weil man ausgerechnet mit fünfzehn sterben muss. Hätte ich das gewusst, wäre ich gar nicht mehr hingegangen. Aber das weiß man vorher ja nicht.

 

Thymusdrüse

Momentan wird im Umfeld ermittelt. Kryszek ist ein richtiger Schnüffler. Er glaubt, dass ich kein zufälliges Opfer eines Verwirrten war. Das wäre auch so ein Beruf gewesen. Kriminalbeamter. Jedes Mal, wenn ich zu Kryszek rüberschaue, denke ich mir das. Ein Traumjob. Als Chef natürlich nur. Seine Mitarbeiter haben nichts zu lachen, aber Kryszek selbst macht im Prinzip, was er will. Und mein Fall bereitet ihm sogar richtig Freude. Und er stattet mir Besuche ab. Nicht, dass mir jetzt unstillbar was daran liegen würde, wenn er mir die flache Hand auf die Thymusdrüse legt und ziemlich genau zu wissen scheint, wie es mir geht. Aber es ist nicht unangenehm.

 

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