Leseprobe Sprudel und Puste, Kurzkrimi

 

lindgrün

Ich grase die Gesichtszüge meiner Feinde nach Blößen ab. Ich bin Markenleiter. Ich mache jede Fundstelle augenblicklich zu barer Münze. Ich verkaufe ausschließlich Neuwagen. Siehe da, hatte ich doch prompt ein so ungeschützt weites Feld aufgerissen! Weiss war in seinem zartesten Innersten getroffen. Die wirren Saiten seiner Empfindlichkeit zitterten so fahrig, dass der ganze Mann dröhnte wie ein getunter Sportauspuff. Der klapprige Hampelmann entfesselt uns noch eine Resonanzkatastrophe! Hier in Mutters Garten. Ich streckte ihn dann einfach mit der Faust nieder. Nach außen hin bleibe ich Kundenbetreuer. Der solide Kundenbetreuer mit Frontantrieb. Bloß, seit gestern ist da eine gewisse Unruhe drin, was mein Wirkungsfeld betrifft. Seit gestern ist mein Renommee in Gefahr. Das liegt daran, dass ich seit gestern voraussichtlich tot bin. Weiss kam aus dem Haus gefegt wie der Wirbelwind. Er tobte, er brüllte mich an. Wir sollten augenblicklich damit aufhören, den Ball gegen die Wand zu schießen. Natürlich ließ ich ihn auflaufen. Ein leichtes Manöver für mich, Anfängerübung. Ich ließ mir von Siegfried den Ball zupassen. Siegfried ist mein Erstgeborener, damit das allen klar ist. Dann drosch ich den Ball per Außenrist gegen die Hausmauer. Ein Bombenschuss! Weiss wollte mich körperlich angreifen, aber er wusste nicht, wie er das anstellen sollte. Er hatte sich keine Strategie zurechtgelegt. Weiss war eine Weichflöte. Seine Stimme versagte. Ich versetzte ihm einen Faustschlag ans Kinn, und keine Sekunde später lag er in der Wiese. Zur Strecke gebracht. Ein Häuflein Elend, wie es mir stets große Freude bereitet. Und wie Weiss also so vor mir lag, rücklings im grünen Gras, ausgeknockt, meinte ich noch, wir hätten die Frage der Hackordnung ein für alle Mal geregelt. Seine Traktionskontrolle hatte schlappgemacht, und ich musste so lachen. Bereite dich doch auf die Konfrontation vor, die du anzettelst! Der Motor muss verzögerungsfrei anspringen. Weiss hatte seiner Unbeherrschtheit freien Lauf gelassen und sich wie ein blutiger Amateur benommen. Ein Faustschlag, und der knickt ein. Jetzt blickte er mir von ganz unten ins Gesicht. Die Positionen waren klar bezogen. Er wollte wieder sprechen, aber sein schrumpeliges Organ versagte erneut. Weiss‘ Stimme flocht nur noch hauchdünn ausgefransten Sopranstring. Also, ich hatte ihn da, wo ich ihn haben wollte, ganz unter Kontrolle. Was will der Weichling noch? Ich bin Autoverkäufer und jeder Situation gewachsen. Ich schnippe dich mit dem kleinen Finger geradewegs in den Dreck. Visage voran in den Schlick. Wie alt bin ich eigentlich geworden? Ich glaube doch fast vierzig. Wie doch die Zeit vergeht! Weiss hatte nur dieses eine Mal die Fassung verloren. Er würde mir wenige Tage später einen zweiten Gartenbesuch abstatten. Dann jedoch im Vollbesitz seiner Kräfte. Ich kenne meinen Mörder. Ich bringe ihn um. Meine Eltern hatten das Haus gekauft. Das ganze Haus, mit Ausnahme der kleinen Erdgeschosswohnung. Vater ist dann gestorben, und ich hatte es nicht leicht. Da waren auch Geschwister. Wie viele? Wie soll ich das wissen? Die meisten sind gleich gestorben. Lauter Mädchen. Meine Schwestern. Sie sind im Säuglingsalter gestorben. Ich habe überlebt, zum Glück. Ich bin ein Mann. Meine Schwestern sind gleich an Keuchhusten gestorben, und ich habe überlebt. Können Sie mir folgen? Der dynamische Fahrspaß blieb nur einem vergönnt. Die feuchte Saat des Vaters verdorrte also zum Großteil noch im Aufkeimen. Ein trauriges Kapitel. Ich blieb übrig und wurde Autoverkäufer. Es geht um die Kohle, nicht um die Autos. Die sonore Tiefe meiner samtenen Stimme zieht sie alle über den Tisch. Ich lulle sie alle ein. Keiner geht hier ohne sein Auto raus. Zuletzt hatte ich elf Untertanen. Bei Reklamationen musste ich machen. Kein Problem. Ich hörte mir das Gezeter an, was dem wertgeschätzten Kunden nicht passte, und dann verkaufte ich ihm ein anderes Auto. Immer Zuschlag, immer mit Zuschlag. Reklamationen steigern den Umsatz. Keiner geht mir raus, ohne sein treu Erspartes schlussendlich vor mir hingeblättert zu haben.

 

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